Sonntag, 21. September 2014

Das Kapital des Staates

Buchbesprechung:

Mariana Mazzucato: Das Kapital des Staates. Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum, Verlag Antje Kunstmann, München, August 2014.



Wir leben in einer Zeit, in der der Staat immer schlanker werden soll. In der schwersten Rezession seit der Great Depression in den 1930er Jahren wird in Europa derzeit gespart. Das Spardiktat ist die Folge der rigiden Austeritätspolitik, die die EU-Behörden trotz der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit durchsetzen, um einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen.

Dahinter steckt ein Dogma: Der Markt ist die Lösung – Der Staat ist das Problem. Der Abbau des Staates wird öfters mit dem Argument gerechtfertigt, dass die Wirtschaft dynamischer, wettbewerbsfähiger und innovativer sein müsse. Der Staat gilt als träge.

Noch nie war es also nötiger als heute, über die Rolle des Staates in der Wirtschaft nachzudenken. Genau das tut Mariana Mazzucato in ihrem kürzlich vorgelegten ausgezeichneten Buch.

Die Autorin will zeigen, dass der Staat als Motor der Innovation und des Wandels agieren kann. Innovation ist zwar nicht die Hauptaufgabe des Staates, aber vielleicht der wirkungsvollste Weg, seine Existenzberechtigung zu verteidigen, unterstreicht die an der Universität Sussex lehrende Wirtschaftsprofessorin.

Zumal die ökonomische Standardtheorie staatliche Interventionen rechtfertigt, wenn die gesellschaftliche Rendite aus einer Investition höher ist als die private Rendite und es daher unwahrscheinlich ist, dass ein privates Unternehmen investieren wird. Der staatliche Handeln soll den Mut der privaten Unternehmer verstärken. Im iPhone z.B. steckt nicht eine einzige Technologie (Internet, Drahtlosenetzwerke, GPS, Mikroelektronik, Touchscreen-Displays, SIRI), die nicht staatlich finanziert wurde. Der Staat betreibt aber kein gutes Marketing in eigener Sache.


In der Pharmabranche finanziert der Staat die riskantesten Forschungen, aber die grossen Pharmafirmen schöpfen die Gewinne ab, schildert Mazzucato mit konkreten Beispielen aus der Praxis allgemein verständlich. Das Krebsmedikament Taxol wurde beispielsweise im den Labors der National Institutes of Health entdeckt. Verkauft wird es von Bristol-Myers Squibb zu einem Preis von USD 20‘000. Apple wurde mit dem Geld aus dem staatlichen SBIR-Programm unterstützt, während es kaum Steuern zahlt, mit denen künftige intelligente Technologien finanziert werden können.

Nach der Finanzkrise kam es zum Vorschein, dass die Finanzbranche zunehmend die Gewinne aus ihren Geschäften privatisiert und die Risiken sozialisiert hat, Diese Ungleichheit ist auch bei Innovationen zu beobachten, argumentiert Mazzucato und will damit vor Augen führen, dass der Staat bei Innovationsprozessen, die zu Wachstum führen, eine aktive Rolle spielt. Risiken werden zwar kollektiv getragen, aber Gewinne werden keineswegs kollektiv verteilt. Die amerikanischen Steuerzahler haben praktisch keine Vorstellung davon, wie ihre Steuern zu Innovationen  und Wirtschaftswachstum in den USA beitragen. Sie wissen nicht, wie Privatunternehmen mit Innovationen Geld verdienen, die mit ihren Steuern unterstützt wurden.

Wichtig ist, sich zu vergegenwärtigen, dass der Staat nicht nur Marktversagen repariert, sondern Märkte überhaupt erst schafft (im Sinne von Karl Polanyi). Mazzucato legt Wert darauf, das Problem von Risiko und Gewinn genauer zu betrachten.

Ihr Ansatz ist so beschaffen, dass das Verständnis für den Zusammenhang zwischen Risiko und Gewinn und damit für den Zusammenhang zwischen Innovation und Ungleichheit gewonnen werden soll. Der zentrale Punkt in diesem Rahmen ist ihre Forderung, dass Industrie- und Innovationspolitik Instrumente zur Umverteilung beinhalten müssen, wenn die „unternehmerischen“ Investitionen des Staates gerechtfertigt sein sollen: Instrumente, die die unvermeidlichen Verluste decken, aber auch die Kasse wieder auffüllen, damit neue Investitionen in Innovationen möglich sind.

Denn wenn man den Staat daran hindert, Steuern einzunehmen, so beeinträchtigt man seine Möglichkeiten, auch in Zukunft Risiken zu tragen. Innovationen sind das Ergebnis eines langfristigen kumulativen, kollektiven und unsicheren Prozesses, hebt Mazzucato immer wieder hervor. „Eine grosse Herausforderung besteht darin, Institutionen zu schaffen, die das Verhältnis von Risiko und Gewinn so regulieren, dass gerechtes, stabiles Wirtschaftswachstum möglich ist.“

Im „Innovations-Ökosystem“ sollen also Risiko und Gewinn neu ausbalanciert werden. Die Vorstellung, dass der öffentliche Sektor Anreize für Innovationen des privaten Sektors setzen soll (durch Subventionen, Steuererleichterungen, technische Standards usw.) ist realitätsfremd. Es gibt viele Beispiele, die Mazzucato in diesem für Nicht-Ökonomen geschriebenen hervorragenden Buch präsentiert, bei denen die entscheidende unternehmerische Initiative vom Staat kam und nicht vom privaten Sektor.

Es ist wichtig, den kollektiven Charakter von Innovationen anzuerkennen. Innovationen sind nicht nur das Ergebnis von Investitionen in Forschung und Entwicklung, sondern es kommt auf die Institutionen an, zu ermöglichen, dass neues Wissen die Volkswirtschaft durchdringt. Das Fazit des Buches ist, dass die öffentliche Hand vielmehr die Risiken tragen sollte, die der private Sektor nicht tragen will, aber dann auch die Früchte seiner Risikobereitschaft ernten. Das Buch ist hammermässig. Unbedingt lesenswert.

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