Mittwoch, 18. September 2013

Geldpolitik und Arbeitslosigkeit als Schwellenwert

Die Fed will die Zinsen nicht erhöhen, bevor die Arbeitslosenquote unter 6,5% gefallen ist. Fed-Chef Ben Bernanke hat damit einen Schwellenwert festgelegt. Die Orientierung am Arbeitsmarkt (via Arbeitslosigkeit) gilt als ein unkonventionelles Instrument der Geldpolitik und das Ganze geschieht im Rahmen der sog. Forward Guidance, die Bernanke vor rund zwei Monaten erläutert hat.

Ist es aber sinnvoll, die Arbeitslosenquote als einen wichtigen Indikator für den Zustand des Arbeitsmarktes zu verwenden? Gavyn Davies befasst sich in einem lesenswerten Artikel („Lies, damned lies and the US unemployment statistics“) in FT genau mit dieser Frage und erklärt den gesamten Zusammenhang anhand von vier anschaulichen Abbildungen.

Die Arbeitslosenquote ist in den USA von 10,0% im Oktober 2009 auf 7,3% im August 2013 gesunken, was ein beeindruckender Rückgang bedeutet. Doch hat sich die Erwerbsquote (employment-population ratio) im selben Zeitraum kaum verändert, was nahelegt, dass der Rückgang der Arbeitslosenquote auf einen Rückgang der Erwerbsbeteiligung (participation ratio) zurückzuführen ist, weil enttäuschte Arbeitsuchende sich aus dem Arbeitsmarkt verabschieden.

Auf dieser Basis argumentieren viele Keynesianer, dass der Arbeitsmarkt sich inzwischen überhaupt nicht erholt hat. Die logische Folge ist, dass die Arbeitslosenstatistik eine irreführende Indikation im Hinblick auf geldpolitischen Spielraum der US-Notenbank liefert, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage weiter anzukurbeln.


Vier standardisierte Indikatoren für den Arbeitsmarkt, Graph: Gavyn Davies in FT


John William, San Francisco Fed Präsident hat argumentiert, dass die Beweise überwiegend zeigen, dass die Arbeitslosenquote die beste Statistik bleibe, während die Erwerbsquote strukturelle und konjunkturelle Einflüsse verwische.

Seiner Meinung nach sei die Arbeitslosenquote stets der beste einzelne Messwert in Bezug auf die Flaute am Arbeitsmarkt gewesen. Die Arbeitslosenquote liegt heute auf etwa 0,7 Standardabweichung über dem langfristigen Mittelwert, bemerkt Davies und verweist auf die erste Abbildung, wo drei andere Messwerte für die Beobachtung der Flaute auf dem Arbeitsmarkt dargestellt werden, die sich auf ganz andere Quellen beziehen. Und alle liegen auf der Region 0,0 bis 0,1 Standardabweichung vom normalen Wert entfernt.

Was sagt aber das über die Flaute am gegenwärtigen Arbeitsmarkt aus? In der zweiten Abbildung ist ein Vergleich der Arbeitslosenquote mit der natürlichen Arbeitslosigkeit (NAIRU: inflationsstabile Arbeitslosenquote) dargestellt, beruhend auf Schätzungen des CBO.



Vier standardisierte Indikatoren für den Arbeitsmarkt, Graph: Gayvn Davies in FT

Das CBO betrachtet die NAIRU als vorübergehend gestiegen, auf 6% der Arbeitskräfte (labour force: Erwerbsbevölkerung). Aber auf lange Sicht würde sie wieder auf 5,5% fallen. Beträgt die Arbeitslosenquote heute 7,3%, dann ergibt sich daraus, dass sich die Flaute auf dem Arbeitsmarkt derzeit auf 1,3 bis 1,8% beläuft, rechnet Davies aus. Das heisst, dass die Flaute sich in 19 bis 27 Monaten ablegen würde. Daraus würde folgen, dass die Fed die aggressiv lockere Geldpolitik demnächst bremsen müsste.

Was ist aber, wenn der Rückgang der Erwerbsquote auf die Schwere der Rezession zurückzuführen ist? In diesem Fall würde es nahe liegen, anzunehmen, dass die Arbeitslosenquote eine irreführende Schlussfolgerung zulässt, weil eine grosse Anzahl von Menschen wieder an den Arbeitsmarkt zurückkommen würde, wenn sie wüsste, dass geeignete Arbeitsplätze mit akzeptablen Löhnen zur Verfügung stehen.

Wie findet  man heraus, wie viele Menschen sich aus dem Arbeitsmarkt vorübergehend zurückgezogen haben, weil eben keine akzeptable Arbeitsplätze verfügbar sind?



Erwerbsbeteiligung am US-Arbeitsmarkt, Graph: Gayvn Davies in FT

Man muss die Erwerbsbeteiligung (participation ratio) mit der Rate vergleichen, die es gegeben hätte, wenn die demographische Zusammensetzung der Arbeitskräfte (labour force) nach 2008 gleich geblieben wäre. Nach dieser Methodik ergibt sich, dass 1,3% der Arbeitskräfte aus dem Arbeitsmarkt ausgefallen ist, wobei zu erwarten ist, dass sie an den Arbeitsmarkt zurück käme, wenn der Zustand des Arbeitsmarktes sich verbessern würde.

Dies impliziert, dass die echte Höhe der Flaute am Arbeitsmarkt zwischen 1 bis 1,5% höher liegen dürfte als die Arbeitslosenquote. Diese Methodik setzt jedoch voraus, dass ein Rückgang der Erwerbsbeteiligung, welcher in demographischen Gruppen auftritt, der Rezession zugeschrieben werden müsste, anstatt längerfristigen Trends der Erwerbsbeteiligung für junge Arbeitnehmer.

Davis deutet aber auf die folgende Abbildung hin, und bemerkt, dass diese Annahme eher zweifelhaft ist. Der entscheidende Punkt ist seiner Meinung nach, dass es sehr schwierig ist, zwischen einem dauerhaften, strukturellen Wandel und einer vorübergehenden Veränderung in der Erwerbsbeteiligung zu unterscheiden.


Erwerbsbeteiligung (langfristige Trends) am US-Arbeitsmarkt für ausgewählte Gruppen, Graph: Gayvn Davies in FT

Daher sind politische Entscheidungsträger besser beraten, wenn sie nicht zu viel Gewicht auf die Genauigkeit der Arbeitslosenquote legen, weil sie sonst das Risiko eingehen, Arbeitskräfte dauerhaft zu verschwenden. Aber es ist auch nicht ohne Risiko, wenn auf der anderen Seite auf die Erwerbsquote zu viel Gewicht gelegt wird, weil dann der nicht-existente Inflationsdruck zu lange anhalten würde. Das heisst, dass eine Deflationsgefahr sich ergeben könnte.


PS:

Employment-Population Ratio: Das ist eine statistische Auswertung, die den Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zeigt, die eine Beschäftigung hat.

Participation Ratio: Das ist der Anteil der Bevölkerung über 16 Jahre (Männer und Frauen), die erwerbstätig oder auf Stellensuche sind.

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