Freitag, 13. Juli 2012

Produktionslücke: Vorsicht mit HP-Filter


Tim Duy hat in seinem Blog neulich auf eine Mini-Debatte in den USA (mit wichtigen ökonomischen Implikation) Stellung bezogen. Es geht um die Verwendung einer statistischen Technik namens Hodrick-Prescott Filter.

Es gibt einige unterschiedliche Ansätze zur Berechnung des Produktionspotenzials. Hodrick-Prescott (HP) Filter gehört mit dem Produktionsfunktionsansatz und Multivariater (MV) Filter zu den häufig verwendeten Schätzmethoden. Die Produktionslücke (output gap), die zeigt, wie gut die Produktionsfaktoren einer Volkswirtschaft ausgelastet sind, misst die prozentuale Abweichung des beobachteten BIP-Niveaus vom geschätzten gesamtwirtschaftlichen Produktionspotenzial.

James Bullard, Präsident der St. Louis Fed, der sich auf diese Schätzmethode stützt, hat kürzlich behauptet, dass die US-Wirtschaft in der Nähe des Produktionspotenzials laufe.

„Die Immobilienblase und die darauf folgende Finanzkrise haben wahrscheinlich einigen dauerhaften Schaden für die Wirtschaft angerichtet, was nahelegt, dass die Produktionslücke in den USA nicht so gross ist wie allgemein angenommen wird und dass das Wachstum der Produktionslücke mässig ist. Dies erklärt, warum das US-Wirtschaftswachstum weiterhin schleppend verläuft, warum die US-Inflation nahe Zielwert bleibt anstatt steil zu fallen und warum die Arbeitslosigkeit im vergangenen Jahr: von 9,1% im Juni 2011 auf 8,2% im Juni 2012 gesunken ist“.

Duy vertritt die Ansicht, dass es in diesen beiden Sätzen mehr Falsches als Richtiges gibt. Der an der University of Oregon lehrende Wirtschaftsprofessor sieht nicht ein, warum eine langsamere Wachstumsrate des Produktionspotenzials auf kurze Sicht zwangsläufig niedrigeres tatsächliches Wachstum implizieren soll.


Das reale BIP, tatsächlich vs. potenzial, Graph: Prof. Tim Duy

Dass die Inflation nicht weiter fällt, kann durch die starren Nominallöhne erklärt werden. Und der Rückgang der Arbeitslosigkeit, was in sich selbst nicht beeindruckend ist, sollte im Zusammenhang mit der Stagnation der Erwerbsquote gesehen werden, legt Duy dar.

Auch Paul Krugman tritt in die Debatte ein, zum einen, weil der Träger des Wirtschaftsnobelpreises (2008) sich mit der Thematik in Bezug auf Japan einst befasst hatte, und zum anderen weil, was wie eine Debatte über eine statistische Technik aussieht, eigentlich eine entscheidende Debatte über die Natur der anhaltenden wirtschaftlichen Katastrophe ist.

Der HP-Filter ist eine Technik, die angeblich die zugrunde liegenden Trends von den Daten, in denen eine Menge kurzfristige Schwankungen um den Trend gibt, herauszieht. Um dies zu tun, glättet der HP-Filter die Daten und nimmt, grob gesprochen, einen gewichteten Durchschnitt über mehrere Jahre. Die geglättete Bemessung soll dann den zugrunde liegenden Trend darstellen, erläutert Krugman in seinem Blog.

Auf Konjunkturzyklen angewandt findet der HP Filter einen geglätteten Messwert für das reale BIP, welcher dann als das Potenzial, das der Wirtschaft zugrunde liegt, angenommen wird, mit Abweichungen von der geglätteten Darstellung, die nicht-nachhaltige, vorübergehende Abweichungen vom Potenzial verkörpert.

Was nun geschieht, ist, wie Tim Duy betont, dass einige Menschen, einschliesslich US-Notenbank, den HP-Filter an den Tag legen, um zu argumentieren, dass die US-Wirtschaft sich Nahe Potenzial befindet, sodass es keinen Anlass gibt, eine expansive Geld- und Fiskalpolitik zu verfolgen.

Was stimmt aber damit nicht? Die Antwort ist laut Krugman, dass eine statistische Technik nur angemessen ist, wenn die zugrunde liegenden Annahmen der Schätzmethode wirtschaftliche Realität widerspiegeln. Und es ist hierbei fast sicher nicht der Fall.

Die Verwendung des HP-Filters geht davon aus, dass die Abweichungen vom Potential Output relativ kurzfristig sind und sich ziemlich schnell wieder korrigieren lassen. Das ist wohl in normalen Zeiten wahr, räumt Krugman ein, obwohl er behaupten würde, dass der Hauptgrund für die Konvergenz zurück zum Potenzialwachstum ist, dass die Fed dafür sorgen kann, dass es geschieht, und zwar schneller als der „natürliche“ Prozess.

Krugman möchte das Augenmerk danach richten,was im Gefolge der Finanzkrise passiert ist. Die Fed befindet sich auf der Untergrenze von Null. Und sie zögert heute auf unkonventionelle Massnahmen in einem ausreichenden Umfang zurückzugreifen. Die Fiskalpolitik wird abgelenkt und die Wirtschaft bleibt unter dem Potenzial für eine lange Zeit.

Doch die Methodik der Verwendung des HP-Filters geht von Annahmen aus, die nicht zutreffen. Jede langwierige Rezession wird stattdessen als eine Abnahme des Potenzialwachstums interpretiert. Krugman liefert dazu die folgende Abbildung (1998) für die 1930er Jahre.


US-BIP 1991-39, Graph: Prof. Paul Krugman

Nach dem HP-Filter war die US-Wirtschaft zurück auf das Potenzial von 1935. Warum? Weil es die Grosse Depression automatisch als einen nachhaltigen Rückgang des Potenzialwachstums interpretiert hat, weil der HP-Filter solche konjunkturelle Einbrüche gemäss Annahmen in seiner Schätzung des Potenzialwachstums verkörpert. Es hat sich aber merkwürdigerweise herausgestellt, dass es in Amerika in der Tat Überkapazitäten gab, was nur eines Anstiegs der Nachfrage bedurfte, um die Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen.

Fazit: Für Krugman ist es offensichtlich, dass Menschen, die jetzt mit HP-Filter argumentieren, die Meinung vertreten, dass die Wirtschaft bereits auf Vollbeschäftigung ist. Das ist derselbe Fehler von damals. Die Verfechter dieser Sicht verwenden eine statistische Methode, die nur funktioniert, wenn längere Abschwünge der Konjunktur unter dem Potenzialwachstum laut Annahmen der des HP-Filter Ansatzes nicht passieren können. Die statistischen Verfahren sind nur so gut wie die ökonomischen Annahmen, die dahinter stecken. Und in diesem Fall sind die Annahmen einfach falsch.

PS:

Ein konkretes Zahlen-Beispiel aus der Schweiz:

Die Produktionslücke (output gap) in der Schweiz:

Im vierten Quartal 2011:

Nach Produktionsfunktionsansatz: -1,1%
Nach Hodrick-Prescott-Filter: -0,6%
Nach Multivariater Filter: -0,4%

Im ersten Quartal 2012:

Nach Produktionsfunktionsansatz: -0,7%
Nach Hodrick-Prescott-Filter: 0,0%
Nach Multivariater Filter: 0,2%.


Schweiz, Produktionslücke (output gap), Graph: SNB, Quartalsheft June 2012

Das heisst, dass die Produktionslücke sich in der Schweiz gemäss HP-Filter und MV-Filter bereits geschlossen hat, während nach dem Produktionsfunktionsansatz eine Lücke von minus 0,7% bestehenbleibt. Für die Notenbank sind die Angaben von entscheidender Bedeutung, was die geldpolitische Orientierung betrifft.

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