Mittwoch, 11. April 2012

Umdenken in Wirtschaftswissenschaften


Im vergangenen Jahr kam es im November an der amerikanischen Universität Harvard zu einem Protest der Studenten in einer Einführungsvorlesung (economics 101) von Prof. Greg Mankiw. Mankiw, der ehemalige Wirtschaftsberater des Präsidenten George W. Bush, gilt als Starökonom der neoklassischen Schule.

Motiviert durch die Occupy-Wall Street Bewegung weigerten sich Studenten des ersten Semesters, realitätsfernen Modellen der Wirtschaft Aufmerksamkeit zu schenken und verliessen demonstrativ den Hörsaal.

Die NYT will in Room for Debate: („Rethinking How We Teach Economics”) von einer Reihe von renommierten Ökonomen wissen, wie die Lehre der Ökonomie sich im Lichte der Finanzkrise ändern soll.

Was haben wir in den vergangenen fünf Jahren gelernt, was an die künftige Generation von Ökonomen vermittelt werden soll?

In einem typischen einführenden Lehrbuch stellen sich Löhne und Preise so ein, dass der Arbeitsmarkt immer in Vollbeschäftigung ist und die Waren zum richtigen Preis verkauft werden, bemerkt Menzie Chinn.

Der an der University of Wisconsin lehrende Wirtschaftsprofessor hebt aber hervor, dass es in der realen Welt so ist, dass die Preissignale die ganze Arbeit nicht machen können, weil es Rigiditäten gibt. Finanzielle Verträge werden auf Dollar-Basis abgeschlossen und die Löhne werden nicht täglich ausgehandelt.


Können Finanzkrisen mithilfe der folgenden Formel vorhergesagt werden?, Graph: NYTWhat I didn’t learn in Econ 101

Ist die Wirtschaft nicht nur eine soziale Wissenschaft, sondern eine echte Wissenschaft?

Was aber noch wichtiger ist, dass die Preisbewegungen oft nicht ausreichen, um die Märkte zu räumen, wie George Akerlof, Michael Spence und Joseph Stiglitz in ihren Forschungsarbeiten zeigen, was ihnen den Nobelpreis gebracht hat.

Chinn deutet vor diesem Hintergrund auf die Asymmetrie von Informationen in den Kreditmärkten hin. Die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der Kreditmärkte ist daher erforderlich, im Wesentlichen durch kurzfristige Garantien der öffentlichen Hand. Es ist ein Irrtum, zu denken, dass das Informationsproblem dieser Art selbst verschwinden würde, wenn die Erinnerung an die Krise mit der Zeit zurückweichen sollte.

Alan Blinder unterstreicht, dass Angebot und Nachfrage wie zuvor funktionieren. Das gelte auch für die komparativen Vorteile. Aber um den Ursprung der Finanzkrise zu verstehen, müssen verschiedene Aspekte in den Lehrplan aufgenommen werden: Vermögenswerte-Bubbles, Hebelwirkung (leverage), Risikoaufschläge in den Zinssätzen und die Ansteckungsgefahr in den Finanzmärkten, um einige zu nennen. Der Unterricht über die Geldpolitik muss vollständig umgearbeitet werden. Die Studenten müssen jetzt etwas über die „unkonventionelle Geldpolitik“ (unconventional monetary policies) lernen, hebt der an der Princeton University lehrende Wirtschaftsprofessor hervor.

Nassim Nicholas Taleb betont die Bedeutung von “black swans”. Der am Polytechnich Institute of New York University lehrende Professor redet von einer bestimmten Klasse von Folgeschäden von seltenen Ereignissen (d.h. black swans), die nicht vorhersehbar sind und deren Wahrscheinlichkeit sich nicht messen lassen.

Alle Modelle, die auf eine Berechnung der Wahrscheinlichkeit von solchen Ereignissen beruhen, gehören aus dem Fenster geworfen. Solche Ansätze induzieren Unsicherheiten und bringen Schaden. „Wir sind ohne Modell besser daran als mit einem defekten Modell, was die Menschen intuitiv verstehen, aber dazu neigen, zu vergessen, wenn sie nicht „skin in the game“ haben, erläutert Taleb.

Dazu zählt die ganze Disziplin des modernen Finanzwesens wie z.B. Modelle von Harry Markowitz, William Sharpe und Merton Miller, aber auch die Modell-basierten Methoden von Paul Samuelson.

Die wichtigsten Schritte, um die Ausbildung junger Ökonomen zu verbessern, sind Wirtschaftsgeschichte und die Geschichte des ökonomischen Denkens als obligatorische Fächer in den ersten Semestern einzuführen, hält Robert Skidelsky fest.

Hinter der Verwerfung der Wirtschaftsgeschichte und die Ideengeschichte liegt die falsche Sicht der Ökonomie als eine Naturwissenschaft, erklärt der emeritierte Wirtschaftsprofessor an der University of Warwick. Im Gegensatz zu Naturwissenschaften ist es so, dass die Realität, auf die Ökonomie abzielt, und zu verstehen versucht, sich ständig ändert, v.a. als Folge unserer Handlungen. Die Zukunft ist nicht nur voll von Unbekannten, sondern wie Donald Rumsfelds mit einem unsterblichen Satz zu sagen pflegt, von „unbekannten Unbekanten“. 

Das Studium der Vergangenheit kann laut Skidelsky Ökonomen helfen, den Umfang von „unbekannten Unbekannten“ einzugrenzen. „Modelle, die besagen, dass wirtschaftliche Zusammenbrüche nicht passieren können, sind von keinem Nutzen, das, was im Jahre 2008 geschehen ist, zu verstehen. Daher müssen wir auf solche historische Grösse wie Keynes, Hayek und Schumpeter zurück“, fasst das Mitglied des britischen House of Lords zusammen.

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