Freitag, 13. April 2012

Leidet die Wirtschaft an einem Mangel an sicheren Anlagen?


(Nur für Streber)

Paul Krugman hat in seinem Blog gestern die Frage aufgeworfen, ob es im Zug der Krise derzeit wirklich einen Mangel an sicheren Anlagen gibt? Der an der University of Princeton lehrende Wirtschaftsprofessor hat zugleich eine gewisse Skepsis zum Ausdruck gebracht.

Krugman legt nämlich nahe, dass es nicht um einen Engpass in sicheren Anlagen geht, sondern darum, dass es angesichts der depressiven Wirtschaft an guten Investitionsmöglichkeiten fehlt.

Brad DeLong, der in seinem Blog das Wort ergreift, vertritt hingegen die Ansicht, dass die Aktien derzeit allem Anschein nach nicht ein aussergewöhnlich hohes Kurs-Gewinn-Verhältnis hätten. Das ist, was wir erwarten würden, wenn das eigentliche Problem nur ein Mangel an guten Investitionsmöglichkeiten wäre, erklärt er.

Wenn es einen Mangel an guten Investitionsmöglichkeiten gibt, d.h. einen Nachfrageüberhang nach Sparformen, was in einem Wicksellschen-keynesianischen Hicks’schen Modell bedeuten würde, dass ex-ante Ersparnisse bei Vollbeschäftigung grösser als ex-ante Investitionen bei Vollbeschäftigung sind, dann würden die Zinssätze und die Gewinnrendite (d.h. der Gewinn pro Aktie geteilt durch den augenblicklichen Kurs der Aktie, nämlich der Kehrwert des Kurs-Gewinn-Verhältnisses) tendenziell ungewöhnlich niedrig verlaufen, so DeLong.

Heute sind aber nur die Renditen auf Vermögenswerte, die als sicher wahrgenommen werden, ungewöhnlich tief, fasst der an der University of California, Berkeley lehrende Wirtschaftsprofessor als Fazit zusammen.


Junk Bonds-Index, Merrill Lynch, Graph: Prof. Paul Krugman

Krugman findet nun die Diskussion mit DeLong interessant und fügt in seinem Blog zwei weitere Argumente hinzu.

(1) Warum soll man auf Aktien-Bewertungen blicken? Warum soll man stattdessen nicht riskante Anleihen (risky bonds) betrachten? Was man in der Abbildung sieht ist, dass es einen Bagehot-Moment 2008-2009 (siehe auch hier) gibt, d.h. einen Zeitpunkt, wo alle schreien: „Oh-Gott-wir-werden-alle-sterben!“. Aber danach hat sich der Verlauf der Entwicklung deutlich geglättet.

(2) Es gibt die Frage, ob eine einfache Geschichte von Niedrigzins-Erwartungen langfristige Zinsen erklären kann. Man kann dafür einen Blick auf die Baseline-Prognose von CBO für Arbeitslosigkeit und Inflation werfen, ohne zu behaupten, dass das CBO über eine besondere Weisheit verfügt. Aber es ist ein Beispiel dafür, was vernünftig ist und was die Menschen mitten auf der Strasse erwarten dürften. Man kann auch eine einfache Schätzung von Taylor-Regel heranziehen und annehmen, dass die aktuellen Sätze das Maximum der Taylor-Zahl und Null sind. Was sich daraus ergibt, ist in der folgenden Abbildung zu sehen:


Voraussagen für US-Leitzins (fed funds rate), CBO-Schätzungen, Graph: Prof. Paul Krugman

Niedrige Zinsen für eine lange, lange Zeit und sogar auf die lange Sicht noch ziemlich lang.

Die Frage ist daher, was der Barwert der Rendite der Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit heute wäre, wenn man Risiken, Unsicherheiten usw. ignoriert. 

Die Antwort lautet: 1,79%.

Das zeigt nicht, dass die gegenwärtigen Zinsen richtig sind. Aber es zeigt laut Krugman, dass sie angesichts der Erwartungen im Hinblick auf eine schwache Erholung der Wirtschaft nicht unangemessen sind. Dazu braucht man also keine Geschichte über „Mangel an sicheren Anlagen“.

Krugman möchte dennoch festhalten, dass er nicht ideologisch gegen die Interpretation „Mangel-an-sicheren-Anlagen“ einwendet, sondern er wundert sich, ob wir damit nicht gegen das Ockhams Rasiermesser-Prinzip (Occam’s Razor) verstossen, indem wir dem Sachverhalt unnötigerweise mehr Hypothesen und Variablen hinzufügen.

PS: Brad DeLongs Forschungsarbeit („This Time, It Is Not Different“) über Bagehot ist lesenswert und fantastisch, hebt Krugman hervor. Aber der Bagehot-Moment ist zur Zeit vorbei.

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