Montag, 3. Mai 2010

Was heisst eigentlich „ausserbilanziell“?

Ausserbörsliche Märkte dienen in erster Linie dazu, die Regulierung zu umgehen. In dieser grauen Welt verdienen Finanzexperten wegen der fehlenden Transparenz an ihren Kunden und Investoren. Mit dem Aufkommen der Quants hat die Komplexität in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Die Komplexität ist bekanntlich der Feind der Transparenz. Mike Konczal ist in diesem Kontext ein grossartiges Interview mit Jennifer Taub gelungen. Sie ist Dozentin und Koordinatorin für Business Law Program am Iseberg School of Management an der University of Massachusetts Amherst. Bevor aber Taub über ausserbilanzielle Transaktionen redet, erklärt sie, was unter Bilanz zu verstehen ist, wozu eine Bilanz dient. Der Zweck der Bilanz ist, eine vollständige Offenlegung eines Unternehmens über Vermögenswerte (assets) und Schulden (liabilities) zu geben. Am einfachsten lässt sich die Funktion einer Bilanz im Rahmen persönlicher Finanzen erklären, argumentiert Taub.

Man zeichnet ein T auf ein Blatt Papier. Auf der linken Seite (Aktivseite) befinden sich Vermögen und ihre Werte. Assets sind die Dinge, die man besitzt. Sie umfassen auch Zahlungen, auf die man Anspruch hat. Wenn man z.B. einem Freund 100 $ ausgeliehen hat, dann gehört es zu den Assets. Auf der rechten Seite (Passivseite) befinden sich Verbindlichkeiten und ihre Beträge. Verbindlichkeiten sind Schulden. Die Passivseite zeigt aber auch die Differenz zwischen den Vermögenswerten und den Verbindlichkeiten. Der verbleibende Betrag wird als Eigenkapital (oder Reinvermögen) bezeichnet, erläutert Taub weiter. Die Abbildung (Die Figur T) heisst eine Bilanz, weil beide Seiten ausgeglichen sind. Aktiva gleichen der Summe aus Verbindlichkiten und Eigenkapital. Das Eigenkapital ist also das Kissen (Polster), das man hat, wenn die Dinge, die man besitzt, an Wert verlieren. Umgekehrt wächst das Eigenkapital, wenn das Vermögen eine Wertsteigerung erfährt oder die Verbindlichkeiten abgebaut werden. Eine Bilanz ist also ein wichtiges finanzielles Statement, wenn es genau anzeigt, wie viel Leverage (Verschuldung) ein Geschäft hat. Um Leverage zu erklären, stellt man sich vor, dass man eine einzige Anlageklasse besitzt; z.B. ein neu erworbenes Haus zu einem Preis von 1 Mio. $. Und man hat 10% davon abbezahlt. Die Bilanz sieht dann so aus: Auf der linken Seite: Vermögenswert von 1 Mio. $ und auf der rechten Seite Verbindlichkeiten von 900'000 $ und darunter Eigenkapital von 100'000 $. Das würde bedeuten: Ein Leverage von 10 zu 1. Diese Quote sagt über das Potenzial für Gewinn und Risiko aus. Legt der Hauspreis um 10% zu, dann verdoppelt sich das Eigenkapital auf 200'000 $, da der Hauswert nun 1'100'000 Mio. $ beträgt. Verliert hingegen das Haus um 10% an Wert, dann fällt der Wert des Hauses auf 900'000 $ und man verliert das ganze Eigenkapital. Dieses einfache Beispiel verdeutlicht die Konsequenzen der Hebelwirkung (Leverage). Investoren sind auf standardisierte Bilanzen angewiesen, erklärt Taub. Das ist vergleichbar mit Einkaufen in einem Supermarket, wo man zwischen den Produkten das Lebensmittel-Label liest und Nährwerte vergleicht. Investoren orientieren sich an Bilanzen, bevor sie z.B. eine Aktie kaufen oder verkaufen, oder einem Unternehmen Geld leihen. Die Finanzmärkte sind also von der Transparenz abhängig. „Wir müssen die Transparenz fördern, um Verschleierungen zu verhindern. Alles, was die Schulden maskiert oder erhebliche Verbindlichkeiten versteckt, ist nicht gut für die Märkte, nicht gut für Investoren und nicht gut für die Regulierungsbehörden“, erläutert Taub. Wenn die Führungskräfte eines Unternehmens durch die Manipulation der Bilanz oder der Gewinn-Verlust-Rechnung das Unternehmen gesünder aussehen lassen, dann können sie den Vorstand veranlassen, eine Lohnerhöhung zu bekommen, erklärt Taub. Wenn sie in Aktienoptionen bezahlt werden, dann bekommen sie wegen der Manipulation unfair viel Geld. Man stelle sich eine Leverage-Ratio von 30 vor. Das bedeutet, dass das Eigenkapital sich verdoppelt, wenn die Vermögenswerte um 3,3% zulegen. Umgekehrt gilt es, dass das Unternehmen in Konkurs gerät, wenn die Vermögenswerte um 3,3% abnehmen. Das Beispiel erklärt die Bedeutung der Hebelwirkung glasklar, so Taub. Es ist eine attraktive Strategie, mit Hebelwirkung zu arbeiten, wenn die Vermögenswerte steigen. Was in der jüngsten Krise passiert ist, zeigt, dass die Menschen in den Unternehmen die Tatsache ignoriert haben, dass die Vermögenswerte nicht immer weiter steigen. Sie haben aber persönlich davon profitiert; in Form von riesigen Gehältern und Boni. Frau Taub nennt dann folgende Beispiele als Instrumente, die für den Bilanz-Missbrauch zum Einsatz kommen: Window Dressing (am Quartalsende), Swaps und ausserbilanzielle Zweckgesellschaften (bekannt auch als „variable interest entities“ oder VIEs). Zum Instrument „Window Dressing“ benennt Taub den Fall Lehman (Repo 105). Das Pleite-Unternehmen hatte seine Bilanz am Quartalsende durch ausserbilanzielle Transaktionen um 50 Mrd. $ reduziert. Was Swaps angeht, sind Unternehmen berechtigt, ihre volle Exposition in Swaps von ihrem Jahresabschluss auszuschliessen. Stattdessen ist es zugelassen, im Laufe der Zeit über Veränderungen des „Fair Value“ zu berichten. Ein weiteres Beispiel ist VIEs. Das sind ähnliche Einrichtungen wie Zweckgesellschaften, die von Enron missbraucht worden sind. Ein grossartiges Beispiel ist der Fall AIG. Der Versicherungskonzern hatte den tatsächlichen oder potenziellen Betrag an Verbindlichkeiten mit den Credit Default Swaps (CDS) nicht offengelegt. Es darf in diesem Zusammenhang in Erinnerung gerufen werden, dass die AIG ein staatliches Rettungspaket in Höhe von 180 Mrd. $ erhalten hat. Davon gingen 60 Mrd. $ an die Gegenparteien der AIG, um ihre Schulden abzuzahlen. Auch die Citigroup machte von VIEs Gebrauch. Die Citi hat ausserbilanzielle Einheiten eingesetzt und an sie Hypotheken-Anleihen und andere Vermögenswerte verkauft. Die Mittel für den Erwerb der Vermögenswerte kamen von den Investoren, welche kurzfristige Schuldtitel (commercial papers) der VIEs gekauft haben. Um Investoeren anzulocken, hat die Citi den Investoren eine „liquidity put“ angeboten. Diese Garantie verpflichtete die Citigroup, die Wertpapiere zum Nennwert zurückzukaufen, falls sie illiquid werden sollten. Folglich hatte die Citigroup im Jahr 2007 Commercial Papers im Wert von 25 Mrd. $ zum Nennwert zurückkaufen müssen, obwohl die Wertschriften nur noch zu 35 Cents gehandelt wurden. Das kostete die Bank 14 Mrd. $, obwohl die Garanti der Citigroup ausserbilanziell erfolgte.

Fazit: Bezugnehmend auf Senator Menendez’ „off-balance sheet“ Amendment vertritt Taub die Meinung, dass dort verlangt wird, dass Unternehmen im Rahmen ihrer jährlichen Berichterstattung eine ausführliche, schriftliche Offenlegung ihrer ausserbilanziellen Aktivitäten vorlegen müssen. Zusätzlich zur vollständigen, detaillierten Offenlegung müssen Unternehmen begründen, warum diese Aktivitäten nicht in der Bilanz auftauchen.

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