Sonntag, 20. Juli 2008

Halbe Wahrheiten

Buchbesprechung*:

Adrian Tomine:Halbe Wahrheiten“. Reprodukt, Berlin, 2008.

Ben Tanaka (30) arbeitet als Geschäftsführer eines Universitätskinos in Kalifornien. Die Beziehung mit Miko (31), einer Organisationsassistentin beim „Asian-American Digi-Fest“ leidet unter seiner emotionalen Dichotomie. Nachdem Miko für einen neuen Job nach New York zieht, versinkt Ben tiefer im hedonistischen Morast von sexuell ambivalenten Protagonisten des College Alltags. Melancholie hat in akademischen Kreisen Tradition. Ben findet aber keinen Ausweg aus seiner Ratlosigkeit im interkulturellen Graben, wenn auch Alice Kim, seine beste, scharfzüngige (lesbische) Kollegin ihn durch hochintellektuelle Dialoge wachrüttelt und bei ihm gewisse Kraft zur Selbstbildung freisetzt. Trost ist menschlich.

Aber auch Ben’s Affinität für blonde Flittchen bleibt unerfüllt. Autumn Phelps (22), eine Performance-Künstlerin im Kino bezirrt ihn heftig. Aber sie will mit Ben nicht einmal schmusen, wegen Keimen. Fühllosigkeit folgt Indifferenz. Ben Tanaka gibt aber die Suche nach sich selbst nicht auf. Er lernt auf einer Dyke-Party Sascha Lenz (28), eine anmutige Studentin im Aufbaustudium, kennen. Er kann ihr gegenüber seiner Zuneigung tatsächlich Ausdruck verleihen, aber sie lässt ihn wie eine heisse Kartoffel fallen, da sie sich wieder anders besinnt und erneut das Ufer wechselt. Fazit: Promiskuität ist auch kein Mittel zur Identitätsfindung. In der Liebe gilt es genauso wie in der Bildung: ohne Leidenschaft keine Meisterschaft. Wer mit allen flirtet, wird nie auf seine Kosten kommen. Die Geschichte verfährt personenbezogen. Figuren und Aktionen werden nach dem musterhaften Paradigma stillvoll dramatisiert. Das Buch hat drei Kapitel. Kapitel Eins: Exposition. Kapitel Zwei: Konfrontation und Kapitel Drei: Auflösung. „Halbe Wahrheiten“ (Originaltitel: „Short Comings“) ist Adrian Tomines erste „Graphic Novel“. Der Autor ist im kalifornischen Sacramento geboren. Seit 1991 schreibt und zeichnet er seine Comicserie „Optic Nerve“. Feinsinnig und hintergründig gezeichnet. Ein fantastisches Buch. Ein grandioses Meisterwerk.

Cezmi Dispinar

* erscheint in der Ausgabe 201 von 25. Juli 2008.

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